Personal, Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Soziokultur

Beitrag von Jochen Molck und Lukas Hegemann in Vorbereitung auf den Workshop „Personal, Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Soziokultur“ am 06.12.2022 (Infos und Anmeldung).

„Wer sich entscheidet, in der Soziokultur zu arbeiten, will etwas für die Gesellschaft tun und glaubt fest an die positive Wirkung, die Kultur auf Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft haben kann. Menschen, die diesen Weg gehen, sind hoch engagiert, stark intrinsisch motiviert und es gewohnt, kreativ und professionell mit begrenzten Mitteln ein Maximum an Wirkung und Programm zu erzeugen. […] Doch es gibt ein Problem, das bei fast allen sofort eine Reaktion auslöst und das mitunter auch sehr emotional diskutiert wird. Es betrifft nicht nur die beruflichen Aufgaben der Menschen in der Soziokultur, sondern den Wert, der ihrer Arbeit zugemessen wird und das Maß an Anerkennung, das damit verbunden ist. Gerade die jüngeren Kolleg*innen vergleichen sich mit Freund*innen mit gleicher Qualifikation und oft geringerer Verantwortlichkeit und stellen fest, dass sie deutlich geringere Summen auf ihrem Gehaltszettel finden. Das führt zu Frustration und zu Empörung und zu dem Gefühl, Opfer eines Missverhältnisses zu sein.“

Corinne Eichner, Stadtkultur Magazin Nr. 48, 09/2019 (Download als PDF)

Unser Personal ist die wichtigste Ressource über die die Soziokultur verfügt. In der Soziokultur arbeiten eine Menge kreativer Köpfe, meist mit viel Engagement weit über normale Arbeitszeiten hinaus, allerdings oft immer noch vor dem Hintergrund chronischer Unterfinanzierung und prekärer Job-Perspektiven.

Nach wie vor sind die Arbeitsverhältnisse in der Soziokultur sehr unterschiedlich, sie reichen von rein ehrenamtlichen Engagement über Praktika/Volontariate, mehr oder weniger gut bezahlte Projektstellen bis hin zu befristeten oder sogar unbefristeten Voll- und Teilzeitstellen mit oder ohne Anlehnung an den TVÖD („gerne“ auch in abgesenkter Form). Auch unfreiwillige Teilzeitjobs sind keine Ausnahme, Altersvorsorge noch viel zu oft ein Fremdwort.

Oft vergessen werden die freien Mitarbeiter oder outgesourcete Reinigungs-, Aufbau- oder Securitykräfte. Dann noch als eigener Bereich: Dozent*innen, Kursleiter*innen und Künstler*innen, die ja auch im weitesten Sinne zum Personal zu rechnen sind.

Schon vor Corona standen die Beschäftigten in der Soziokultur vor einem Dilemma. Trotz gestiegener gesellschaftlicher Anerkennung ihrer Arbeit, gelungener Projekte und flexibler Problemlösungen hinkt die materielle Anerkennung der geleisteten Arbeit immer weiter hinterher. In einigen Zentren ist es dadurch schon zum Problem geworden, geeignete und motivierte Fachkräfte oder gar Leitungspersonal zu finden. Auch m Gegensatz zu anderen Kultureinrichtungen zahlt die Soziokultur meist schlecht und flexible Arbeitsformen wie Homeoffice finden sich, spätestens seit Corona, auch in anderen Branchen.

Die vom Bundesverband Soziokultur erhobenen statistischen Daten bestätigen den Trend: Obwohl Veranstaltungen/Projekte vor Corona um mehr als 18% stiegen, erhöhte sich die Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter nur um 2,8% . Dagegen stiegt die Anzahl freier Mitarbeiter*innen und Honorarkräfte. (Bundesverband Soziokultur 2019, S. 21)

Die Zahlen aus NRW sind etwas älter (2017/2018), aber sprechen auch eine deutliche Sprache: Von den damals 3.300 Beschäftigten gehörten nur 400 zur Kernbelegschaft mit überwiegend unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Jobs. Nur 58% der Zentren konnten sich eine Vollzeit-Leitungsstelle leisten, nur 20% der sozialversicherungspflichtigen Stellen werden nach TVÖD bezahlt, weitere 20% in Anlehnung, aber meist abgesenkt und weit weniger als die Hälfte konnten sich regelmäßige Tarifanpassungen leisten.

Was hat sich in den letzten 5 Jahren (seit unserer Bochumer Konferenz „Kultur der Gegenwart – und was sie kostet“) getan?

  • Im TVÖD gab es durchaus Anpassungen, die über der damaligen Inflationsrate lagen.
  • Realistische Einstufungen nach TVÖD werden immer mehr von Kommunen und dem Land akzeptiert und von den Fördergebern teilweise sogar gefordert (Neustart Kultur, Fonds Soziokultur), ebenso wie deutlich höhere Honorare bei freiberuflichen Mitarbeiter*innen, Künstler*innen. (Fonds Soziokultur akzeptiert z.B. 50,- €/Std bei Projekten) .
  • Seit dem 01.10.2022 gilt der Mindestlohn von 12,- € / Std. , was zu Problemen im internen Lohngefüge führen kann.
  • Über Kurzarbeitergeld konnten die Stammbelegschaften auch während Corona weitgehend gehalten werden (anders sah es bei Aushilfen und freien Mitarbeiter*innen aus).
  • Insgesamt sind die Kulturetats in den letzten 5 Jahren überdurchschnittlich gestiegen, aktuell wird staatlicherseits so viele Geld für Kultur ausgegeben, wie nie zuvor (allerdings ist das Geld nicht automatisch in der Soziokultur gelandet).
  • Der Frauenanteil, auch in Leitungspositionen, ist deutlich gestiegen (2018: 54%), auch der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte hat sich verändert, ist aber noch sehr von der Ebene abhängig.

Jetzt allerdings hat sich der Wind gedreht und auch die Soziokultur wird in den nächsten Jahren vor ziemlichen Herausforderungen stehen:

  • Hoher Kostendruck durch Inflation und dramatisch steigende Energiepreise
  • Unklare Nachfrageentwicklung, aus verschiedenen Gründen (Corona, Preissteigerungen, kurzfristige Absagen/Verschieben von Veranstaltungen, Krieg..)
  • Stagnierende oder gekürzte kommunale Kulturhaushalte
  • Umgang mit Megatrends wie Klimakrise, Digitalisierung

Mehr denn je brauchen wir also ausreichend gut ausgebildetes und motiviertes Personal, um diese Herausforderungen zu stemmen. Dazu ein paar Vorschläge und Anregungen:

  • Bezahlung und Arbeitsbedingungen in der Soziokultur strukturell zum Thema machen
  • Anbindung an TVÖD als Grundlage, inkl. regelmäßiger Tariferhöhungen und Altersvorsorge -> Gleichbehandlung mit kommunalen Angestellten
  • Zusätzliche temporäre Personalkapazität organisieren um gezielt Defizite aufzuarbeiten -> Projektmittel, Sponsoring, Zeitspenden
  • Aufgabenkritik in den Zentren mit dem Ziel bestehende Strukturen zu überprüfen -> weniger aber dies besser machen, Sensibilisierung zu Selbstausbeutung/Dumping
  • Personalentwicklung als Leitungsaufgabe etablieren, ggf. qualifizieren (siehe dazu auch: https://www.kulturmanagement.net/Themen/Personalentwicklung-in-Kulturbetrieben-Veraenderungen-ermoeglichen,2266)
  • Nachwuchs gezielt ausbilden: Praktika/FSJ/Auszubildene/Volontariate
  • Kollegiale Beratung, Unterstützung von außen organisieren (Förderprogramme?)
  • Stärkung der Mitarbeiter*innen Vertretungen: Betriebsrat, informelle Strukturen, Verein
  • Mindesthonorare für freie Künstler*innen/Projekte, dazu gibt es einen Vorschlag von Verdi: https://medien-kunst-industrie.verdi.de/ueber-uns/nachrichten/++co++680edd30-f911-11ec-958c-001a4a160116

Und auf den übergeordneten Ebenen: Eine stabile, planbare Grundförderung sowie ergänzende Strukturförderung statt immer neuer „Projektitis“. Dazu gibt es in der Ausgabe 169 des Kultur Management Network Magazins eine Reihen spannender Beiträge (zur Ausgabe).