Kulturgesellschaft im Wandel: Die Kulturverbände in NRW fordern strukturelle und finanzielle Unterstützung bei der Erneuerung

240 Teilnehmer*innen verfolgten am 1. Dezember 2021 die digitale Konferenz des Kulturrats NRW über Perspektiven der Kulturpolitik in den kommenden Jahren. Die Konferenz war eine Fortsetzung einer Tagung vom 5. Mai, in deren Folge Arbeitsgruppen zu den sieben diskutierten Themenfeldern Handlungsvorschläge an die Politik entwickelt und ausgearbeitet hatten. Das Monitoring stellte nun die Ergebnisse zur Diskussion.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen hatte der Kulturrat NRW bereits im Oktober auf www.zukunft-kultur.nrw der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, so dass alle vorbereitet in den Diskurs gehen konnten. Die Teilnehmer*innen konnten per Video oder Chat mitdiskutieren. Jörg Biesler moderierte den Tag, unterstützt von einem Team um Catalina Rojas Hauser von der Geschäftsstelle des Kulturrats NRW. Veranstaltungspartner waren die beiden Kultursekretariate in NRW sowie der Städtetag NRW.

Gerhart Baum, Vorsitzender des Kulturrats NRW, nahm zu Beginn der Tagung Bezug auf die aktuelle pandemische Situation. Er zeigte sich davon überzeugt, dass man Kulturveranstaltungen, die coronagemäß und verantwortungsvoll organisiert sind, nicht schließen müsse, im Gegensatz zu mancher Großveranstaltung des Sports. Es ist zu befürchten, dass es zu neuen finanziellen Auswirkungen der Einschränkungen kommt. Die Reserven der Kunstschaffenden sind aufgebraucht, daran haben auch die Corona-Hilfsprogramme staatlicher Einrichtungen nicht viel ändern können. Unverzüglich müssten dann neue kompensierende Maßnahmen für freischaffende Künstler*innen sowie für Kultureinrichtungen umgesetzt werden.

Jörg Stüdemann lobte seitens des Städtetags NRW die Aushandlungen des Kulturrats mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW. Sie seien in der Krise eine große Hilfe gewesen. Die Absicherung von freischaffenden Künstler*innen, aber auch von Arbeit im Kulturleben, sei in den vergangenen Monaten zu einem virulenten Thema geworden. Zudem sei die Notwendigkeit offensichtlich, dass Kulturpolitik mehr in Strukturen und Prozesse statt in Projekte investieren müsse. Er betonte, dass es „gewaltige Veränderungsbedarfe“ gebe.

Ergebnisse aus sieben Arbeitsgruppen

Sieben Referent*innen stellten den Tag über die Ergebnispapiere der sieben Arbeitsgruppen zu den Themen „Wandel urbaner Kultur“, „Kultur in der Fläche“, „Zukunft von Kulturorganisationen“, „Kulturakteur:innen zwischen Förderung, Markt und Sozialpolitik“, „Digitale Transformation“, „Diversitätssensibilität“ sowie „Perspektiven für die Freie Szene“ vor: Christian Esch (NRW KULTURsekretariat Wuppertal), Antje Nöhren (Kultursekretariat NRW Gütersloh), Christiane Zangs (Stadt Neuss), Matthias Hornschuh (mediamusic), Jörg Stüdemann (Städtetag NRW), Robert v. Zahn (Landesmusikrat NRW) und Heike Herold (Soziokultur NRW).

In allen AGs wurde der große Unterstützungsbedarf in Anbetracht notwendiger Wandlungsprozesse in der Gesellschaft deutlich. Die Unterstützung sollte durch eine stärker strukturell orientierte Landesförderung und auch durch Kompetenzvermittlung erfolgen. Anknüpfend an bestehende Strukturen sollten für die Bewältigung dieser neuen Aufgaben weitere Netzwerke und Kooperationen als dezentrale Qualifizierungs- und Kompetenzorte entstehen. Einzig im Bereich Diversität forderten die Tagungsteilnehmer*innen eine neue Einrichtung: Die Zentrale eines Netzwerks aus bereits arbeitenden Institutionen sollte über neue hauptamtliche Kräfte verfügen, die fachliche Ressourcen aus dem Netzwerk und einem Pool von Expert*innen bereit stellen sollen. Ein solches Netzwerk stellen traditionell die beiden Kultursekretariate in NRW durch ihre Kooperationsstrukturen zur Verfügung: „Als bewährte Innovationstreiber bieten unserer Städteverbünde eine hervorragend Grundlage für die notwendige Koordinierung der bevorstehenden Transformationsprozesse im städtischen Raum und in der Fläche,“ so deren Leiter*innen Antje Nöhren und Christian Esch. Jörg Stüdemann verwies mit Nachdruck auf die Perspektiven der Stadtgesellschaft.

Mit Blick auf die vielfältigen Aspekte des notwendigen Wandels forderten die AGs die Anbahnung von Prozessen in Kultureinrichtungen und -initiativen, bei denen alle Mitarbeitenden neue Inhalte, Kommunikationsformen, Zielgruppenansprache und Strukturen selbst entwickeln sollten. Querschnitthaft durch alle Reformprozesse gilt es, die Erfordernisse der Nachhaltigkeit, der Diversität und der Digitalität umzusetzen. Allein dafür sind für die Kulturförderung jährlich zusätzlich mindestens 70 Millionen Euro notwendig. Der Wandel der Kulturgesellschaft erfordere jedoch auch bei der Finanzierung eine ressortübergreifende Zusammenarbeit.

Generell müssten schwergängige Verwaltungsstrukturen und bürokratische Verfahren von Förderung weiterhin auf den Prüfstand gestellt werden. Viele Aufgaben, insbesondere zu den Erlösmodellen und zur sozialen Absicherung von freischaffenden Künstler*innen seien Herausforderungen der Bundespolitik. Ein besonderes Augenmerk müsse dem Kulturleben in ländlich geprägten Räumen gelten, das in der Kulturpolitik des Landes bei allen Entwicklungsfragen von vornherein mitgedacht werden muss.

Gerhart Baums Schlusswort hob auf die Finanzierung dieser Anforderungen ab. Ab 2023 werde es schwierig, denn die Schuldenbremse greife: „Wir müssen eine intensive Lobbyarbeit machen.“ Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW sei ein guter, verlässlicher Gesprächspartner. Dessen Vertreter*innen schlug er vor, aus dem Block Digitalisierung ein umfassendes Modellprojekt zu machen. An die bundesweite Initiative zur Entwicklung eines Datenraums Kultur, in die auch der Städtetag involviert ist, könnte man sinnvoll anknüpfen. Die soziale Absicherung der Künstler*innen müsse in Berlin durch Bundestag und Bundesrat gelöst werden. Der oder die künftige Arbeits- und Sozialminister*in sei gefordert. Die Kulturminister*innenkonferenz werde dazu Vorschläge machen. Hildegard Kaluza bezeichnete dies sogar als prioritäre Aufgabe. In der Tat berichtete Michael Reitemeyer vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, dass eine Arbeitsgruppe der Kulturminister*innenkonferenz zu dieser Frage ein Gutachten in Auftrag gegeben habe. Letztlich werde darüber der Deutsche Bundestag entscheiden, so Baum.

Die Finanzierung und Entlastung der Kommunen sei ein Schlüssel für die Handlungsfähigkeit der Kommunen auf dem kulturpolitischen Feld. Immerhin verantworten sie in NRW über 80 Prozent des öffentlich finanzierten Kulturgeschehens. Das Kulturgesetzbuch für NRW sei nun verabschiedet und müsse beim Wort genommen werden, so Baum weiter. Es müsse als Grundlage für viele der aufgeworfenen Fragen in der nächsten Legislaturperiode wieder auf den Tisch kommen.

Die sieben Ergebnispapiere sind unter www.zukunft-kultur.nrw eingestellt.