Ein Lagebericht von Jochen Molck

In Wuppertal trafen sich anlässlich des 50.Geburtstages der „Börse“ über 200 Vertreter*innen aus soziokulturellen Zentren, Landesverbänden und der Bundesvereinigung Soziokultur zu einem bundesweiten Fachtag Soziokultur. „Wie läuft’s denn bei euch?“ war dann mehr als eine Begrüßungsfloskel, schnell wurde deutlich, dass die Frage wirklich ernst gemeint ist, denn die Herausforderungen für die Kultur allgemein und die Soziokultur speziell sind deutlich größer geworden.

Abhängigkeit von den Kommunen

Eine der Hauptursachen hat überhaupt nicht mit der Arbeit oder dem Angebot der Zentren und Initiativen zu tun, sondern schlichtweg mit der finanziellen Ausstattung der Kommune, in der sie beheimatet sind. Kulturförderung gehört zu den freiwilligen Leistungen und wird in den meisten Fällen jährlich bewilligt und ist selten durch Tarif- oder Leistungsverträge abgesichert, anders als städtische Theater oder Museen. Die ehemals reiche Stadt Erlangen ist dafür ein Beispiel: Durch hohe Gewerbesteuer-Einnahmen war es möglich, die gute Arbeit des E-Werkes, eines der größten soziokulturellen Zentren in Deutschland, gut zu unterstützen. Jetzt musste die Stadt, angeblich überraschend, bereits gezahlte Gewerbesteuer zurückzahlen, so dass sich die Einnahmen nahezu halbierten. „Spürbare Einschnitte“ waren angesagt und nach heftigen Diskussionen muss das E-Werk jetzt mit einer Kürzung von 290.000 Euro klarkommen, in einem Bundesland, das keine zusätzliche Landesförderung für Soziokultur kennt. Entsprechende Beispiele lassen sich auch in Köln, Hannover oder Leipzig finden.

Ähnlich wirkt sich die Nicht-Anpassung der Zuschüsse für soziokulturelle Arbeit aus, mit der einige Zentren zum Teil seit zehn Jahren zu kämpfen haben. Angesichts der Teuerungsraten und Tariferhöhungen gerade in den letzten Jahren ist dies ebenso eine De-facto-Kürzung, die dann gerne von der Lokalpolitik auch schon mal als Wohltat „verkauft“ wird, nach dem Motto: „Wir kürzen zumindest nicht.“ Die Zentren sind gezwungen, Preise zu erhöhen, ihr Programm zu verringern und ihr Personal schlechter zu bezahlen. In Hildesheim hat es jetzt die Kulturfabrik erwischt, die Insolvenz anmelden musste, da sich die finanzielle Schieflage nicht mehr ausgleichen ließ. Andere haben leise ihre Türen geschlossen oder quälen sich über die Runden, weil es hinten und vorne nicht reicht.

Spuren der Pandemie

Zur bitteren Wahrheit gehört auch, dass längst nicht in allen Zentren das Publikum, gemessen an Besucher*innenzahlen vor Corona, in die Häuser zurück gekehrt ist. Manchmal trifft es nur einzelne Sparten, aber die Pandemie hat immer noch Spuren hinterlassen. Meist wird es nicht an die große Glocke gehängt, aber in den Weihnachtsgrüßen und Neujahrswünschen aus den Zentren finden sich Hinweise zwischen den Zeilen, und auf den Programmseiten ist immer seltener „ausverkauft“ zu lesen. Das dämpft natürlich die Aufbruchstimmung, die nach dem Ende der Pandemie vielerorts zu spüren war. Jetzt, wo nahezu alle Kompensationsmaßnahmen weggefallen sind und einige Künstler*innen wie Institutionen mit Rückforderungen zu kämpfen haben, wird die Lage zunehmend erst.

Probleme des Kulturbetriebs

Hinzu kommen ganz „normale“ Probleme des Kulturbetriebs: steigende Kosten, Personalmangel in einigen Bereichen, nicht gelungene Generationswechsel oder die Konkurrenz anderer, oft elektronischer Unterhaltungsangebote vor dem Hintergrund von Reallohnverlusten beim Publikum. Davon sind auch andere Kulturbereiche betroffen, doch die Soziokultur besonders, da günstige Eintrittspreise und möglichst niedrigschwellige Teilhabemöglichkeiten für sie existenziell sind.

Relativ neu ist die Situation, dass sich die heutige Generation junger, formal gut ausgebildeter Kulturmanager*innen nicht mehr selbstverständlich auf prekäre Arbeitsbedingungen und ein hohes Maß an Selbstausbeutung einlässt, bei Konflikten schneller den Job wechselt und durchaus auf angemessene Bezahlung und Work-Life-Balance achtet. Es gibt Ausschreibungen von Leitungspositionen in der Soziokultur, auf die es keine ernstzunehmenden Bewerbungen gibt. Ein Vorstandsmitglied eines großen soziokulturellen Zentrums formulierte neulich: „Wir sind froh, die Probezeit des neuen Geschäftsführers überstanden zu haben.“

Noch werden provokante Anträge rechtspopulistischer Parteien, die sich gegen „links-grün-versiffte“ soziokulturelle Kulturarbeit wenden, in den Parlamenten abgeblockt, in der Regel gemeinsam mit den Kulturverwaltungen – in den „alten“ Bundesländern. Aber schon bei den Versuchen, die Gemeinnützigkeit anzugreifen oder ein vermeintliches Neutralitätsgebot durchzusetzen, wird es manchmal kritisch. In den „neuen“ Bundesländern müssen die Zentren und Projekte z.T. mit rechten Mehrheiten in den Kommunalparlamenten irgendwie klarkommen. Einfach ignorieren hilft da nicht weiter. „Hier haben wir vielerorts keinen rechten Rand, sondern eine rechte Mitte.“

Radikal zuversichtlich

Es kann aber auch ganz anders sein: „Auf in die Zukunft – Radikal zuversichtlich ins Jahr 2025“ meldet der Landesverband Stadtkultur Hamburg, nachdem endlich leistungsgerechte tarifliche Bezahlung für die Beschäftigten in den Hamburger Soziokultur- und Stadtteilzentren durchgesetzt wurde ebenso wie eine Erhöhung der Mittel für den Dachverband plus der Stelle einer Nachhaltigkeitsverantwortlichen. Begleitend dazu erklärt der Kultursenator Carsten Brosda (SPD) in der Süddeutschen Zeitung, warum er Mehrausgaben im Kulturetat für eine Demokratie fördernde Investition und gute Kommunalpolitik hält.

In Düsseldorf ist es gelungen, eine Erhöhung des Etats um 2 Mio. Euro für die freie Szene durchzusetzen, mittelfristige Verträge inklusive Dynamisierung der Zuschüsse sollen folgen. Damit wird u.a. die Arbeit des Kulturzentrums zakk und weiterer Kulturinitiativen abgesichert. Das KFZ in Marburg konnte endlich eine Bezahlung nach TVöD durchsetzen. Die Zeche Carl in Essen organisiert seit einigen Jahren im Auftrag der Stadt erfolgreich ein großes Klimafestival.

Auch der Landesverband Soziokultur in Baden-Württemberg meldet mehr oder weniger stabile Verhältnisse, was die gemischte Förderung von „the Länd“ und den Kommunen angeht. In Heidelberg wurde der für über 20 Mio. Euro neu erbaute Karlstorbahnhof eröffnet und in Karlsruhe machte das Tollhaus endlich einen bedeutsamen Schritt in Sachen Nachhaltigkeit mit neuer PV-Anlage und einem Kombiticket für den öffentlichen Nahverkehr zu realistischen Bedingungen.

Neuerungsschub nach Corona

Mit Ende der Corona-Zwangspause wurden neue Programmangebote und Formate entwickelt, Zentren konnten sich intern besser aufstellen, schärften ihr Profil und erreichen neue Zielgruppen. Aufbruchstimmung lag in der Luft, denn nach wie vor sind die Zentren lokal gut vernetzt und Räume, Technik sowie Know-how für gemeinwohlorientierte Aktivitäten werden nachgefragt, eher mehr als weniger. Im ländlichen Raum sind die Kulturinitiativen manchmal noch der einzige Ankerpunkt für Kulturaktivitäten.

Spielräume kreativ nutzen

Fazit: Ja, die Zeiten für soziokulturelle Arbeit und Projekte werden rauer, es kommt darauf an, wen und wo man fragt. Doch es gibt auch Spielräume, Erfolge und Handlungsmöglichkeiten. „Leidenschaftliche Betriebswirtschaft“ hat an Bedeutung gewonnen, um die knappen Ressourcen effektiv einzusetzen ebenso wie externe Beratung. Manchmal ist es notwendig einen gewissen Wildwuchs im Programmangebot einzudämmen. Selbstkritisch wird, gerade von jüngeren Kolleg*innen, die eigene Sichtbarkeit und Kommunikation mit dem Publikum eingeschätzt.

Nützlich sind gute, vertrauensvolle Kontakte in die Verwaltung und Politik, genauso wichtig ist die Fähigkeit, rechtzeitig auch mal laut zu werden und die Stadtgesellschaft zu mobilisieren. War es nicht immer schon der Anspruch von Soziokultur, die Bedingungen und Möglichkeiten des „Wie-wollen-wir-besser-leben“ öffentlich zu verhandeln und sich dafür einzusetzen? Nur zu, unsere Gesellschaft braucht es mehr denn je.

Jochen Molck lebt und arbeitet in Düsseldorf. Er lehrt an der Hochschule Düsseldorf und berät Kultureinrichtungen nicht nur in Krisensituationen.

Dieser Beitrag ist erschienen in den Kulturpolitischen Mitteilungen Nr. 188 (I/2025) mit dem Schwerpunkt „Kulturelle Domkratie unter Druck“.