Gespräch mit Simon Mertens und Tim Pellmann von der B-Side Münster über das Projekt „Zukunft Soziokultur“

Im Workshop-Prozess „Zukunft Soziokultur“ diskutierten Akteur*innen aus der B-Side in Münster und der WERK°STADT Witten, was Soziokultur heute und künftig leisten kann und was es braucht, um diese gesellschaftlich relevante Arbeit sicherzustellen. Daraus hervorgegangen ist das Thesenpapier „7 Thesen für eine transformative Soziokultur“. Heinke Liere (ehem. WERK°STADT Witten) sprach mit Simon und Tim über den Workshop-Prozess und dessen Ergebnisse.

Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen WERK°STADT und B-Side in diesem Projekt?

Wir haben uns über die LAG Soziokultur kennengelernt. Die WERK°STADT gibt es seit über 45 Jahren – mit den gewachsenen Zwängen, Geld erwirtschaften zu müssen, um soziokulturelle Angebote bereitstellen und das Personal bezahlen zu können. Die B-Side ist noch sehr jung und durch den Umbau des Hill-Speichers noch gar nicht richtig geöffnet. Wir sind noch sehr idealistisch, bislang noch nicht in diesen Zwängen verhaftet und weitgehend ehrenamtlich strukturiert. Diese zwei völlig unterschiedlichen Perspektiven machen die Kooperation so spannend.

Was war das Ziel dieses Workshop-Prozesses?

Ziel war, ein inhaltliches Konzeptpapier zu erstellen, nicht zuletzt, um daraus auch politische Forderungen abzuleiten. Was bedeutet Soziokultur und was kann sie für die Gesellschaft leisten? Welche Strukturen braucht es, um Veränderungen anzustoßen und Menschen zu Handelnden werden zu lassen?

Es ging auch um das Selbstverständnis soziokultureller Zentren, darum, gemeinsame Werte zu formulieren, etwa durch den Verweis auf die Nachhaltigkeitsziele der UN. Derzeit muss sich die Gesellschaft zahlreichen Krisen bzw. gravierenden Umbrüchen stellen. Der Anspruch soziokultureller Zentren ist hier, ein positives Gegen-Bild zu schaffen, zu zeigen, wie Gesellschaft auch jenseits von Marktlogik und Wachstumszwängen funktionieren und etwas aus sich heraus verändern kann. Gesellschaftliche Transformation erfordert Veränderungen in vielen Bereichen, und da ist Soziokultur wichtig als Initiatorin und Begleiterin.

Was braucht es, um soziokulturelle Arbeit dauerhaft sicherzustellen?

Der Druck, den Großteil des eigenen Etats kommerziell erwirtschaften zu müssen, steht dem Ziel und Auftrag, soziokulturelle Arbeit zu leisten, klar entgegen. Auch Projektförderungen greifen zu kurz. Wir brauchen eine dauerhafte Strukturförderung! Nur so kann der Stellenwert von Soziokultur für die Gesellschaft geschärft werden, können soziokulturelle Zentren auch als Experimentierräume fungieren, in denen solidarische Lösungen für gesamtgesellschaftlich wichtige Themen diskutiert und entwickelt werden.

Ist das mit „transformativer Soziokultur“ gemeint?

Transformativ heißt, dass hier Veränderungen angestoßen werden, dass die Zentren gesellschaftlichen Wandel initiieren, ermöglichen und begleiten. Um gesellschaftlichen Wandel zu bewirken, stellt die transformative Soziokultur individuelle Emanzipation und Empowerment in den Mittelpunkt ihres Wirkens.

Indem Menschen befähigt werden, die Gesellschaft nach ihren Wünschen und Bedürfnissen mitzugestalten, wird gesellschaftlicher Wandel konkret und persönlich. Basis ist das Commons-Prinzip oder auch die Allmende. Verkürzt gesagt bedeutet dies, dass es außerhalb der Marktlogik Zugang zu Ressourcen oder Produkten gibt, die gemeinschaftlich genutzt und gepflegt werden, etwa Räume, Maschinen oder Werkstätten. Aber auch, dass Menschen aus einer inneren Motivation heraus tätig werden können.

Wenn soziokulturelle Zentren nach dem Commons-Prinzip organisiert sind, brauchen sie die Unterstützung durch Kommunen, Länder und Bund. Im Sinne einer Commons-Public-Partnership (CPP) müssen gemeinschaftliche Ziele gefasst werden, sodass staatlich gewollte, niedrigschwellige Ermöglichungsstrukturen geschaffen werden können. Es braucht dringend Strukturen, um gemeinschaftlich, solidarisch und nichtkommerziell aktiv werden zu können!

Wenn „klassische Kultureinrichtungen“ wie staatliche Museen oder Theater immer mehr soziokulturelle Formate übernehmen und das Verständnis von kultureller Teilhabe adaptieren, was bedeutet das für die Soziokultur?

Soziokultur ist im Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen hierarchiearm und auch niedrigschwelliger zugänglich. Wir haben hier Gruppen, die würden sich nie in einem Museum treffen wollen. Da Soziokultur eben nicht staatlich organisiert ist, sondern zivilgesellschaftlich, wird sie von vielen Menschen ganz anders wahrgenommen. Wenn staatliche Institutionen mehr Begegnungsorte schaffen, zeigt das doch nur, wie groß der Bedarf an Begegnungen, sozialem Austausch und Gemeinschaft ist.
Auch für Künstler*innen sind die Unterschiede gravierend: Newcomer*innen können hier ausstellen oder ein Konzert geben. Es gibt hier eine grundsätzliche Offenheit. Sobald sich Menschen finden, die etwas realisieren möchten, ist das möglich – sofern wir den Raum dafür bereitstellen können und das Anliegen nicht unseren Werten widerspricht.

Wenn Soziokultur gesellschaftlich wirksame und wichtige Arbeit leistet, bedeutet das doch auch, dass eine Strukturförderung nicht allein aus dem Kulturetat stammen kann?

Genau! Wir brauchen nicht nur projektübergreifende, sondern auch eine ressortübergreifende Förderung. Neben Kulturarbeit agieren wir in Bereichen wie Demokratieförderung, Soziale Arbeit, Jugendarbeit, es geht um Umweltfragen, um Fragen des Zusammenlebens, und wir wirken in die Stadtgesellschaft hinein, womit auch der Städtebau gefragt ist. Über eine sichere strukturelle Förderung muss der Stellenwert der Soziokultur hervorgehoben werden. Es geht um Prozesse, die hier angestoßen werden und finanziert werden müssen, und nicht um einzelne Projekte.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das ungekürzte Interview findet sich in der WERKSCHAU der WERK°STADT Witten.