von Jochen Molck, erschienen in: Kulturpolitische Mitteilungen Heft 173, II/ 2021, S.90-92, Kulturpolitische Gesellschaft e.V.

Natürlich ist auch über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie in der Soziokultur NRW Corona das kulturpolitische Thema.  Aber trotz Bundesnotbremse, Lockdown und sogar noch Ausgangssperren (zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses) ist so etwas wie Aufbruchstimmung zu spüren und zwar nicht beschränkt auf die Aussicht, demnächst wieder Schritt für Schritt und vorsichtig die Zentren für Publikum öffnen zu können.Meine These ist, dass die Corona-Krise gerade im Kulturbereich vorhandene Stärken und Schwächen stärker heraus gearbeitet und bereits vorhandene Entwicklungen einfach beschleunigt hat. Daraus lässt sich schlussfolgern: Je institutioneller Einrichtungen und Projekte organisiert waren, je stärker vernetzt und durch Verbände in der Politik vertreten, umso besser kommen diese Zentren und Projekte durch die Krise.

Die soziokulturellen Zentren in NRW waren in der Mehrheit auch vor der Pandemie gut aufgestellt, der vollzogene Generationswechsel sowie der Ausbau der Geschäftsstelle des Landesverbandes in Münster waren ein Extra-Bonus. Auch wenn es sicherlich einige dramatische individuelle Schicksale in den Häusern gab, insgesamt konnten die Zentren ihre Stärken, also Flexibilität, kreatives Potential, Vielfalt der Angebote und gute lokale Vernetzung ausspielen und sind bislang nicht nur ohne Totalverluste durch Corona gekommen, sondern ihnen ist auch oft mehr eingefallen, als den Laden dicht zu machen oder Konserven zu streamen.

Vielerorts waren sie best-practice Beispiele für lokales kulturelles Krisenmanagement: So mobilisierte die Alte Feuerwache in Köln die Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung in ihrem Quartier, die Börse in Wuppertal organisierte mit lokalen Künstler*innen Projekte vor Ort und das zakk in Düsseldorf organisierte zusammen mit der Obdachlosenhilfe fiftyfifty mal eben die plötzlich eingestellte Lebensmittelausgabe der Tafeln. Auch bei der Umsetzung neuer Formate wie Auto-bzw. Fahrrad-Kinokonzerten, Balkon-Auftritten oder improvisierten Open-Air Filmnächten waren die Zentren in NRW schnell am Start. Während der Lockdowns wurde versucht, eine kulturelle Grundversorgung zu gewährleisten, notfalls wurde der Tanzworkshop auf die Handys der Teilnehmenden gestreamt, der Science Slam nach Zoom verlegt oder ein Podcast produziert.

Auf allen Ebenen, von der Gemeinde bis zu Bund, konnte die materielle Unterstützung in der Soziokultur schnell umgesetzt werden, sei es das Neustart-Programm, der Kulturstärkungsfonds auf Landesebene oder die gerade in NRW wichtigen kommunalen Hilfsmaßnahmen. Plötzlich gab es regelmäßige Videokonferenzen mit dem Ministerium, in denen gemeinsam beraten wurde, die Unterstützung möglichst unbürokratisch und effektiv zu gestalten, – ein ganz neuer Arbeitsstil etablierte sich. Selbstverständlich gab es auch Probleme,: Einige Gruppen wie zum Beispiel die soloselbständig Beschäftigten oder Studierende mit Nebenjob an der Theke, fielen durch das Raster der Hilfsmaßnahmen, Förderkriterien blieben unklar oder Anträge wurden nicht schnell genug bearbeitet. Dramatisch war es bei einigen freien Mitarbeiter*innen, von denen plötzlich nichts mehr zu hören war, die irgendwie vom Radar verschwanden.

Parallel zum Alltag des Umorganisierens und Verschiebens von Veranstaltungen sowie der Umsetzung in digitale Formate, gab es aber seit Beginn des Jahres auch viele grundsätzliche Diskussionen in den Zentren, was aus der Krise zu lernen ist, was zukünftig anders organisiert und gestaltet werden könnte.

Bei der großen Konferenz des Kulturrates NRW zur Zukunft der Kultur im Land, die Anfang Mai aus dem Dortmunder U gestreamt wurde, gab es wenig Gejammer über die immer noch anhaltenden Schließungen der Kultureinrichtungen und umso mehr Ideen,  was sich nach der Krise alles verändern müsste, auch in der freien Szene und der Soziokultur. 

Veränderung der eigenen Strukturen, Räume anders denken und sich weiter in gesellschaftliche Verhältnisse einmischen waren Stichpunkte in dem mit gut 100 Teilnehmer*innen sehr gut besetzten Panel „Standbein oder Spielbein – Perspektiven für Kultureinrichtungen der freien Szene“. Da wurde mehr Kollaboration auf Augenhöhe der Akteure innerhalb der freien Szene gefordert, um gemeinsame Ressourcen besser zu nutzen. Nicht nur traditionelle Kulturorte wie Stadttheater, Museen oder Konzerthäuser sollen sich freien Produktionen öffnen, auch von den soziokulturellen Zentren wurde mehr Auseinandersetzung eingefordert.

Das Thema Raum spielt bei zukünftigen Überlegungen eine wichtige Rolle. Welche Rolle spielen in Zukunft noch digitale oder hybride Räume, sollten sie in Zukunft nicht immer parallel mitgedacht werden? Müssen die kulturellen Angebote der Soziokultur nicht noch mehr in den öffentlichen Raum gebracht werden, um das Publikum besser zu erreichen? Was gehört zu einer kulturellen Grundversorgung im Stadtteil, im Quartier? Wie lassen sich neue Orte besetzen und damit auch andere Zielgruppen erreichen?  Über kulturelle Allmenden wurde diskutiert.

Mehr an die Adresse der Ministerin gerichtet sind die Forderungen nach einer Verschiebung der Projektförderung zu mehr konzeptioneller Förderung, die bessere Planungssicherheit bietet und mehr Nachhaltigkeit statt „Projekteritis“ ermöglicht, ohne dabei kreative Spielräume einzuengen. Auch spartenübergreifende Kompetenzzentren, die sich mit den Herausforderungen Diversität und Digitalität in der konkreten kulturellen Praxis beschäftigen, wurden gefordert.

In NRW entstehen gerade neue soziokulturelle Zentren, wie z.B. die B-Side in Münster oder das Stapeltor in Duisburg. Der Landesverband Soziokultur in NRW steht vor der Herausforderung, neben der Unterstützung bei der z.T. immer noch komplizierten Abwicklung der Corona-Hilfen den zunehmenden Bedarf an kollegialer Beratung zu organisieren, Generationswechsel und Veränderungsprozesse zu unterstützen und die vielen Neuaufnahme-Anträge nicht einfach abzunicken, sondern sich mit neuen Inhalten und Formaten soziokultureller Arbeit auseinanderzusetzen. Auch außerhalb der großen Städte tut sich was, Initiativen in kleineren Städten werden unterstützt und das Bürgerzentrum Schuhfabrik Ahlen wurde ins Landesprogramm zur Förderung 3.Orte aufgenommen.

Obwohl die Auswirkungen der Pandemie auf den soziokulturellen Alltagsbetrieb noch längst nicht ausgestanden sind, gibt es eine Reihe positiver Signale, Ideen und Diskussionen. Deshalb planen die mittlerweile über 70 Zentren in NRW für 2022 auch bereits eine weitere Zukunftskonferenz, denn an interessanten Fragen, Herausforderungen und Ideen mangelt es vor Ort nicht.

Jochen Molck arbeitet an der Hochschule Düsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, leitete 20 Jahre das Kulturzentrum zakk, berät andere Kultureinrichtungen und ist im Vorstand des Fonds Soziokultur engagiert.