von Heike Herold, Soziokultur NRW
Seit dem zweiten Lagebericht ist gut ein halbes Jahr vergangen und zumindest das Ende des zweiten, aktuell bis Mitte Februar verlängerten, Lockdowns ist nicht wirklich in Sicht. Die Bilanz des letzten Jahres ist gekennzeichnet durch ein Auf und Ab, ein On und Off, ein „Fahren auf Sicht“: Nach einem fast traumatisierenden ersten Lockdown folgte eine Phase der Teilöffnung im Sommer und Anfang Herbst 2020. Seit dem 01.11.2020 sind die Soziokulturellen Zentren (wie auch der gesamte Kulturbetrieb in Deutschland) für Besucher*innen geschlossen. Aufgrund der verzögerten Impfungen und der Mutationen aus Großbritannien und Südafrika herrscht Unsicherheit und die Aufhebung des zweiten Lockdowns Mitte Februar erscheint wenig realistisch. Für Kulturstätten wie Soziokulturelle Zentren, die auf Begegnung setzen, gilt das allemal. Nach elf Monaten Krise, von der ganz besonders die Kulturschaffenden an der Basis betroffen sind, brauchen wir Perspektiven!
Glücklicherweise hat aus unserer Mitgliedschaft bisher noch kein Haus aufgrund von Corona Insolvenz anmelden müssen. Eine aktuelle Umfrage ergibt, dass bis zum heutigen Zeitpunkt nur ein geringer Teil unserer Mitgliedszentren komplett geschlossen hat. Der überwiegende Teil ist für das Publikum nicht persönlich erreichbar, aber mit digitalen Diskussionen, Tutorials, Workshops, Netzwerktreffen, Blogs, Portraits und Podcasts werden gute Erfahrungen gemacht. Die Reaktionen sind insgesamt sogar besser als im April 2020. Außerdem wird die Zeit für die weitere digitale Entwicklung, Teambuildings, neue Konzepte und Renovierungsarbeiten genutzt, Räume und technische Infrastruktur werden Künstler*innen zur Verfügung gestellt. Allein die inklusive Arbeit hat es schwer mit der digitalen Teilhabe. Was die Soziokultur getragen hat in dieser Zeit ist Solidarität, Agilität und Handlungsfreude, die kollegiale Kommunikation untereinander sowie der verbandliche Austausch – und: eine Reihe von Förder- und Hilfsprogrammen aus dem Kulturfeld selbst.
Die Aufrechterhaltung der Projekt-Förderprogramme und insbesondere der Kulturstärkungsfonds aus dem NRW-Kulturministerium konnte in der Soziokultur durch die vorangegangenen Beratungen gut eingesetzt werden. Dies gilt auch für die Bundeshilfen aus den Neustart-Programmen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das Jahr 2020 hat gezeigt, wie viel in kurzer Zeit (kulturpolitisch) möglich ist. Das NEUSTART-Programm des Bundes mit einem Fördervolumen von einer Milliarde Euro wurde und wird spartenspezifisch über die jeweiligen Dachverbände in mehr als 50 Teilprogrammen abgewickelt. Kultur wurde hier als einziger Teilbereich politisch mit einem Hilfsprogramm bedacht. In Nordrhein-Westfalen wurde der Kulturstärkungsfonds mit einem Volumen von 80 Millionen Euro eingerichtet. Es gab das Stipendienprogramm über 105 Millionen Euro, bei dem 14.500 Künstler*innen mit jeweils 7.000 Euro gefördert wurden. Eine wichtige Ergänzung des Sofortprogrammes für Künstler*innen mit 2.000 Euro Förderung gleich zu Beginn im März. Hier wurde vieles getan, um Kultur unter den gegebenen Bedingungen zu ermöglichen: digital und auf Abstand. Unterstützt wurden dringende investive Maßnahmen für den Hygieneschutz und die Besucher*innenführung, die Übertragung von Projekten ins Digitale oder in den Außenbereich. Finanzielle Ausfälle wurden kompensiert. Das muss mindestens im Jahr 2021 fortgeführt und da ausgebaut werden, wo kommunale Förderungen wegzubrechen drohen.
Aus dem Wirtschaftsbereich half gut das Kurzarbeitergeld, mal mehr oder eher mal weniger die Soforthilfe und Überbrückungshilfe 1 + 2, die Novemberhilfe, Dezemberhilfe, Neustarthilfe und jetzt Überbrückungshilfe 3. Die vielen Anregungen aus den branchenspezifischen Verbänden werden nach und nach aufgegriffen und verändern die Zugänge und Berechnungsgrundlagen für die Hilfsprogramme. Corona-spezifische Investitionen, Abschreibungen, Werbekosten sowie rückwirkende Ausfall- und Vorbereitungskosten im Jahr 2020 sollen berücksichtigt werden können. Das wäre gut. An dem Programm wird noch geschrieben und nach den vielen unterschiedlichen Programmlinien, Anträgen, Änderungsmeldungen, Abrechnungen sind viele Zentren leider skeptisch über die Wirksamkeit. Soloselbständige sind längst abgehängt (siehe Kulturinitiative 21) und drohen in sichere Berufe abzuwandern.
Es blickt nämlich niemand mehr durch – nicht mal die Steuerberater*innen –, wer unter welchen Bedingungen Zugang hat und was wann in welchem Programm angeführt werden darf. Insbesondere, wenn es um die Abrechnungen der Hilfen geht. Vereinfachungen durch gegenseitige Verrechnungen und Beratungen müssen mitgedacht und flächendeckend angeboten werden. Die Programme müssen sich zusätzlich den sich laufend verändernden Bedingungen anpassen können. Bisher sind laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (Interview vom 27.01.2021) nur 20 von 127 Milliarden Euro der finanziellen Hilfen abgerufen worden. Außerdem droht eine Rückzahlungswelle, weil am Anfang im Wortsinne an die Soforthilfe geglaubt wurde, die Berechnungsmodi aber nicht bekannt waren. Im schlimmsten Fall drohen Rückzahlungen und darauf eine verzögerte Insolvenzwelle.
Noch ist nicht absehbar, ob die Zentren Mitte Februar wieder öffnen können. Gestrichen aus dem Wortschatz scheint der Begriff Planungssicherheit. Nach fast einem Jahr Pandemie fordern wir Perspektiven, also längerfristige Konzepte und nicht als einzige Antwort auf das Infektionsgeschehen einen „Lockdown“ zu verordnen. So lange es keine flächendeckenden Impfungen, eine funktionierende Kontaktverfolgung und keine wirkungsvollen Maßnahmen gegen die gleichzeitige Entwicklung von Covid-Mutanten gibt, ist das beste Mittel die Kontaktreduktion, das haben wir gelernt. Wir stehen hinter diesen Maßnahmen. Damit die Gesellschaft aber nicht weiter auseinanderbricht und die kulturelle Infrastruktur erhalten bleibt, wird endlich ein Stufenplan notwendig. Er sollte Impffortschritte, finanzielle Hilfs- und Beratungsmaßnahmen sowie Rückkehrbedingungen für alle Beteiligten am gesellschaftlichen Leben verständlich abbilden.
Für die Soziokulturellen Zentren bedeutet das, Honorarbeschäftigte (Techniker*innen, Künstler*innen, Kulturvermittler*innen usw.) bald wieder anzuheuern, Veranstaltungen mit Künstler*innen zu planen, die Häuser unter den geltenden Hygieneschutzbedingungen herzurichten und in Kontakt mit ihrem Publikum zu treten, um Vertrauen für eine sichere Umgebung aufzubauen. Sollte es dafür Belüftungsanlagen brauchen, werden klare Richtlinien und Finanzmittel notwendig sein, um adäquat handeln zu können. Die bisherigen Erfahrungen mit den Hygienekonzepten sind gut und effektiv. Darauf kann aufgebaut werden. Keines unserer 70 Mitgliedszentren – und das gilt wohl für den gesamten Kulturbetrieb – war verantwortlich für Infektionsverbreitungen. Und das soll auch so bleiben.
Heike Herold am 04.02.2021