von Ellen Ahbe (Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren)

Wie den Unternehmen des Handels, der Gastronomie und des Tourismus zieht das Veranstaltungs- und Kontaktverbot auch der Soziokultur den Boden unter den Füßen weg. Dies unter der prekären Bedingung, dass die Akteure der Soziokultur sich bereits seit Jahrzehnten selbst ausbeuten. Nicht profit-, sondern ideell und gemeinnützig orientiert, sind sie zudem gesetzlich an der Bildung von Rücklagen gehindert und sie müssen einen Großteil ihrer selbst erwirtschafteten Eigenmittel für Grundkosten aufbringen. Sie sind also besonders hart betroffen.

Die Leistungen der soziokulturellen Zentren als „Role Models“ und Energiequellen einer offenen, demokratischen Gesellschaft sind unverzichtbar. Ob in den Problemquartieren der Großstädte oder in strukturschwachen ländlichen Gebieten: Nach der Krise werden sie von den Menschen, die deren Folgen bewältigen und wieder Fuß fassen wollen, als Orte der Kultur und Kommunikation dringender denn je gebraucht. Bislang erhalten sie aber aus keinem der Hilfsprogramme und keiner der sonstigen Maßnahmen ausreichend Hilfe in ihrer Not. Diese muss jetzt sehr schnell undunbürokratisch erfolgen.

Sowohl unsere Datenerhebung aus 2019 als auch eine aktuelle Umfrage, an der sich fast alle unserer 566 Mitgliedseinrichtungen beteiligten, zeigen: Die Lage ist äußerst ernst. Mehr als ein Drittel der Zentren sieht seine Existenz unmittelbar bedroht. Erste Einrichtungen haben bereits ihre Schließung angekündigt.

Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum von einem Monat ab dem 15. März 2020. Sie zeigen, dass der landesweite Shutdown fundamental die kaum vorhandenen Reserven der soziokulturellen Zentren und Initiativen angreift. Als unmittelbare Auswirkung von Covid-19 sind mindestens 8.000, wahrscheinlicher aber nahe 13.500 Veranstaltungen von Absagen betroffen.

Unter anderem je nach Dauer der Kontaktsperre lassen sich voraussichtlich nur zwischen 2.300 und 4.800 Veranstaltungen und kontinuierliche Angebote wie Kurse und Workshops verschieben. Dabei haben größere Zentren auch die größeren Chancen, Veranstaltungen später nachzuholen. Die durch die kleineren Zentren geleistete Nachbarschaftsarbeit entfällt hingegen meist ersatzlos.

Mehr als zwei Drittel der befragten soziokulturellen Zentren verfügen für den Fall von Betriebsschließungen auf behördliche Anordnung über keine Versicherung. Sie müssen den finanziellen Verlust selbst tragen. Je Einrichtung wird er sich auf durchschnittlich 20.500 Euro, insgesamt auf mehr als 8 Millionen Euro belaufen.

Die Verluste entstehen hauptsächlich aus fehlenden Eintrittsgeldern und Kursgebühren, aber auch aus entfallenden Mieteinnahmen.

Beinahe zwei von drei Zentren bangen zudem um ihre Projektförderungen. Es handelt sich hier um ein Gesamtvolumen von fast 19 Millionen Euro.

Der Gesamtbetrag der Betriebs-, Gemein- und Personalkosten beläuft sich laut „Statistik 2019“ auf jährlich 150 Millionen Euro. Das sind fast drei Viertel der Gesamtausgaben. Nur ca. 70 Millionen Euro davon sind über institutionelle Förderung gedeckt.

Das heißt: 80 Millionen Euro müssen über Eigenmittel bzw. Projektmittel gestemmt werden. Für jeden Monat bedeutet das Kosten in Höhe von ca. 6,7 Millionen Euro. Wegen der finanziellen Einbußen fehlt also vor allem für Betriebs-, Gemein- und Personalkosten die Deckung. Der Mittelwert der Unterdeckung liegt bei knapp 13.000 Euro pro Einrichtung, die Gesamtsumme voraussichtlich bei nahezu knapp 5 Millionen.

Das führt zu Rupturen in der Beschäftigungssituation. In soziokulturellen Zentren sind nur 10 Prozent der Akteure versicherungspflichtig angestellt, davon wiederum nur ein Viertel mit Vollzeitstellen und die anderen mit Teilzeitstellen in Mini- und Midijobs oder im Ausbildungsverhältnis. Das Kurzarbeitergeld greift hier entweder gar nicht oder nicht existenzsichernd, denn 75 Prozent der Stellen werden mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht tariflich vergütet.

In der jetzt akuten Situation behelfen sich Zentren mit weiteren Stundenkürzungen und mit der Anordnung von Urlaub. 33 Einrichtungen müssen bereits zum jetzigen Stand Entlassungen vornehmen. Nur 27 Einrichtungen können das Modell der Kurzarbeit nutzen. Aufgrund der gegebenen prekären Ausgangslage müssen die betroffenen Mitarbeiterinnen zusätzlich Transferleistungen beantragen.

Um die für die Soziokultur mit Sicherheit ernst bleibende Lage wenigstens abzumildern, plädieren wir vor allem für folgende Sofortmaßnahmen: Bereits bewilligte bzw. in Aussicht gestellte Projektförderungen werden – bei entsprechenden Modifizierungen der Förderbedingungen und Kompensationsmaßnahmen durch die Antragsteller – in voller Höhe ausgezahlt.

Zur Aufrechterhaltung der Strukturen wird der Nothilfefonds „GAP“ eingerichtet, mit dem subsidiär zu allen anderen Hilfsprogrammen der Länder und Kommunen die Bedarfe für Grundkosten, aktivitätsbezogene Kosten und Personalkosten abgefangen werden können. Werden diese beiden Empfehlungen nicht aufgegriffen, bedeutet das einen soziokulturellen Kahlschlag.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.