Beitrag im Westfalenspiegel 5/2024. Von Annette Kiehl
Mit der Initiative B-Side ist im Sommer neues Leben in den alten Hill-Speicher im Stadthafen von Münster gezogen. Ein Café und ein Veranstaltungsraum sind frisch eröffnet. Initiativen, Kunstschaffende und Bands haben Räume in dem Rund 100 Jahre alten Backsteingebäude bezogen. Sogar eine Schreinerei gibt es, um Möbel zu recyceln oder Ideen in die Tat umzusetzen. Vor allem aber bietet das Haus große Tische, Sitzecken und Sofas, um Begegnungen zu ermöglichen. Mit diesem Zusammenspiel aus Kultur und Kreativität, Veranstaltungen und gesellschaftlichem Engagement ist die B-Side typisch für die soziokulturellen Zentren in der Region. Doch gerade diese Orte sind durch Sparmaßnahmen des Bundes bedroht.
Neun Jahre dauerten die Planungs- und Umbauarbeiten des Zentrums, das auf der sogenannten B-Seite des Münsteraner Hafens liegt. Es bildet eine Art Gegenpol zur gegenüberliegenden Promenade mit schicken Cafés und Restaurants. Im Gegensatz zu diesen Orten gibt es in der B-Side keinen Verzehrzwang. Wer möchte, kann sich dort mit Freunden treffen, oder noch besser, eine eigene Initiative auf die Beinde stellen. „Wir unterstützen Menschen, die sich engagieren wollen, egal ob es um gesellschaftliche Anliegen oder auch beispielsweise um eine Theatergruppe geht“, erkärt Simon Mertens aus der Initiative B-Side. So stellt der Verein den Gruppen kostengünstige Räume zur Verfügung und hilft bei Förderanträgen. Veranstaltungen finden auf Spendenbasis statt. „Uns ist wichtig, dass alle Menschen unabhängig vom Einkommen teilnehmen können, auch wenn es unsere Einnahmen schmälert“, sagt Mertens.
Diese Haltung hat in der Soziokultur Tradition, in Ahlen bereits seit 40 Jahren. 1984 wurde dort das Bürgerzentrum Alte Schuhfabrik aus der Hausbesetzerszene heraus gegründet, um gemeinsam zu arbeiten, zu feiern und zu streiten, wie es in einem Rückblick heißt. Auch heute noch stehe das „Sich-Einbringen und Mitmachen“ im Mittelpunkt, sagt Martin Tollkötter, Geschäftsführer der Alten Schuhfabrik. Dort will man mehr bieten als eine „Kneipe mit Bühne“, betont er. So gibt es unter anderem kostenlose Sport- und Kreativangebote, Flüchtlingsberatung und Diskussionsabende. Initiativen vom Chor bis zum Schachverein können in dem historischen Gebäude am Rand der Innenstadt kostengünstige Räume finden. „Dank einer großen ehrenamtlichen Unterstützung können wir auch eintrittsfreie Veranstaltungen anbieten, um allen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen“, sagt Tollkötter.
Trotz unterschiedlicher Profile und Schwerpunkte stehen die soziokulturellen Zentren derzeit vor ähnlichen Herausforderungen: Steigende Energiekosten und Honorare belasteten die ohnehin schon knappen Budgets und die Corona-Pandemie hätte das Freizeitverhalten nachhaltig verändert, berichtet Heike Herold, Geschäftsführerin des Verbands Soziokultur NRW, im Interview. Die geplanten Einsparungen im Bundeshaushalt bei den Kulturfonds treffen die Soziokultur in dieser Situation hart. Während der Etat für Kultur insgesamt sogar leicht wächst, sollen die Fördermittel erheblich gekürzt werden. Allein beim Fonds Soziokultur ist ein Minus von 20 Prozent vorgesehen. Die Schuhfabrik Ahlen kann aktuell noch von einer Landesförderung als „Dritter Ort für Kultur und Begegnung im ländlichen Raum“ profitieren, die B-Side in Münster erhält für die ersten drei Jahre am neuen Standort eine Personalkostenförderung der Stadt Münster. Dennoch ist die Sorge angesichts der Nachrichten aus Berlin groß. „Schon ein Minus von einigen tausend Euro kann für die Zentren unter Umständen existenzbedrohend sein und Jobs gefährden“, beschreibt Mertens die Situation der Soziokultur. Gerade in Zeiten von Rechtsruck und Spaltungstendenzen wollen sich Einrichtungen wie die B-Side oder die Schuhfabrik Ahlen für ein gesellschaftliches Miteinander und Teilhabe engagieren. „Wir können hier mit kleinen Summen viel bewirken“, ist auch Tolkötter überzeugt.