Fundraising, Business-Vermietungen, Fördermitgliedschaften: Soziokulturelle Zentren stellen sich neu auf, um Wege aus der finanziellen Not zu finden. Im März starteten mit dem Bielefelder Bunker Ulmenwall und der KuFa Krefeld zwei Mitglieder von Soziokultur NRW eine Crowdfunding-Kampagne, um auf ihre prekäre finanzielle Situation aufmerksam zu machen. Die Unterstützung, die sie in der Folge erlebten, war imposant und machte Mut. Gleichzeitig war klar: Die eingeworbenen Summen würden das Überleben der Zentren nicht sichern.
Ein Gespräch mit Frieda Wieczorek (Bunker Ulmenwall) und Katharina Schneider-Bodien (Kulturfabrik Krefeld) über die Erfahrungen der zurückliegenden Monate – und über die Neuanfänge, die für beide Häuser daraus hervorgegangen sind.
Soziokultur NRW: Ihr habt beide kürzlich eine Crowdfunding-Kampagne durchgeführt, um Unterstützung für eure Häuser zu gewinnen. Wie kam es zur finanziellen Notlage, in der ihr aktuell steckt?
Frieda: Schon vor Corona hat sich abgezeichnet, dass weniger Publikum zu unseren Konzerten kam. Die Pandemie war dann ein tiefer Einschnitt: Als Tiefbunker war der Bunker Ulmenwall praktisch nicht zu bespielen. Wir haben in dieser Zeit unser Programm in die Stadt verlegt, Parkplatz-Konzerte gespielt und auf dem Bunker eine Outdoor-Disko aufgebaut. Wir waren in der Kinderpsychiatrie, in Wohneinheiten in Bethel, in Krankenhäusern und Pflege-Einrichtungen. All diese Aktivitäten hatten eine gute Wirkung in die Stadt und wurden dort auch wahrgenommen.
Nach Corona sind die Besucherzahlen eingebrochen: Wir sind eine kleine Spielstätte und können über die Eintrittsgelder unsere Kosten nicht decken. Wir wollen keine Tickets für 40 bis 60 Euro verkaufen, sondern z.B. auch jungen Menschen, die nicht so viel Geld haben, den Zugang zu Konzerten ermöglichen.
Auch Thekeneinnahmen, die viel aufgefangen haben, sind uns stark weggebrochen. Dann kamen noch die Energiekrise, die allgemeine Teuerung und überzeichnete Fördertöpfe hinzu, das konnten wir nicht mehr auffangen.
Katharina: Ich sehe da viele Parallelen zur KuFa. Wir haben uns in den letzten Jahren über Partys finanziert. Jeden Samstag wurde bei uns gefeiert, mit bis zu 1.500 Gästen im Durchlauf. Vor Corona gingen die Zahlen schon auf etwa 1.000 Gäste zurück, nach Corona war die Party-Branche tot. Wir sind inzwischen froh, wenn wir an einem Samstag 300 Gäste haben.
Unterstützung aus dem Verband
Soziokultur NRW berät seine Mitglieder in mehrfacher Hinsicht:
• Die Geschäftsstelle hat immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitglieder und steht ihnen mir Rat und Tat zur Seite.
• Mit der AG Beratung sind erfahrene Geschäftsführer*innen soziokultureller Zentren ansprechbar. In Einzelfallberatungen unterstützt die AG die Zentren darin, den größten Krisenherd auszumachen und eine Prioritätenliste für die ersten Schritte aus der Situation zu erstellen.
• In der Erfa-Gruppe (Erfa steht für Erfahrungsaustausch) kommen Leitungsmitglieder von Mitgliedszentren zusammen, um sich kollegial über aktuelle Fragen und Herausforderungen in den Häusern auszutauschen.
• Bei den LAG-Tagungen des Verbands gibt es immer einen fachlichen Input von externen Referent*innen zu ausgewählten Themen, zuletzt bspw. ein Impuls zum Thema Fundraising von Wiebke Doktor. Sie war bei der LAG-Tagung im Mai 2025 zu Gast.
Soziokulturelle Zentren arbeiten mit einem Finanzierungsmix, viele Gelder werden selbst eingeworben. Wie hoch sind die Zuschüsse der Kommune bei euch?
Frieda: Bei uns kommen knapp 40 Prozent der benötigten Mittel von der Kommune, alle weiteren Gelder müssen über Drittmittel eingeworben werden. Nur ein kleiner Anteil der Finanzierung kann durch Ticketverkäufe und Thekeneinnahmen gestemmt werden.
Katharina: Wir nehmen 13 bis 15 Prozent über Förderungen und Sponsoring ein. Den Rest erwirtschaften wir selbst. Wir erhalten eine städtische Förderung, über die wir sehr froh sind, aber sie reicht nicht aus, um unsere Netto-Kaltmiete zu bezahlen. Wir werben Gelder ein bei verschiedenen Förderprogrammen von Land und Bund, aber auch bei Stiftungen, der Aktion Mensch oder projektbezogenen Einzelförderungen.
Ihr habt in etwa zeitgleich Crowdfunding-Kampagnen auf Startnext gestartet, um die akute finanzielle Lücke zu schließen. Was ist danach passiert?
Katharina: Die Kampagne ist in der Stadt eingeschlagen, wir haben unglaublich viele Mails und Anrufe bekommen von Leuten, die betroffen waren und uns helfen wollten. Das hat uns sehr viel Rückhalt gegeben! Wir hatten eine breite und großformatige Berichterstattung in mehreren Tageszeitungen, es gab einen Thementag im Lokalradio, bei dem ich als Interviewgast dabei war, oder ein Beitrag in der WDR Lokalzeit mit Live-Besuch unseres Oberbürgermeisters im WDR-Studio.
Ganz wichtig war, dass sich auf unsere Kampagne hin eine Privatstiftung bei uns gemeldet hat, mit der wir derzeit noch im Gespräch sind. Außerdem hat uns ein Fotograf angeboten, die KuFa 360 Grad aufzunehmen – eine tolle Initiative, die uns bei unseren zukünftigen Business-Vermietungen helfen wird.
Frieda: Wir haben im letzten Herbst bzw. Winter ein 12h-Rettungskonzert und, wie jedes Jahr, eine Spenden-Matinée durchgeführt. Beides hat für viel Aufmerksamkeit und auch für Spenden gesorgt.
Anfang dieses Jahres habe ich mit unserem Buchhalter zusammengesessen und wir stellten fest: Wir können beide nachts nicht mehr schlafen. Zu diesem Zeitpunkt war in der Stadt schon viel Bewegung, der Verein hat Zulauf bekommen und viele haben versucht, uns zu helfen. Aber es hat einfach nicht gereicht. Daraufhin haben wir die Kampagne gestartet.
Wir waren mit der Kampagne im Fernsehen, im Radio, in allen Zeitungen. Und wir hatten unheimlich großen Zuspruch aus der Musikszene. Jetzt, nachdem die Kampagne beendet ist, klären wir erst einmal die Verbindlichkeiten für dieses Jahr, und mit einem Konzept, das ich gerade erarbeite, können wir 2026 dann komplett neu starten.
Wie stellt ihr euch neu auf?
Katharina: Wir haben neben der Spendenkampagne Fördermitgliedschaften ins Leben gerufen. Unsere Mitglieder zahlen normalerweise keinen Mitgliedsbeitrag, sondern arbeiten einmal im Quartal eine gewisse Anzahl an Stunden mit. Seit Neuestem ist auch eine finanzielle Unterstützung durch eine Fördermitgliedschaft möglich.
Gleichzeitig haben wir erkannt, dass wir mehr mit Vermietungen arbeiten müssen, v.a. mit Business-Vermietungen. Wir versuchen verstärkt, Firmen zu uns zu holen, z.B. für Pressekonferenzen, fürs Onboarding von Mitarbeitenden oder für Produktpräsentationen. Die KuFa ist jetzt in entsprechenden Portalen gelistet, wir haben professionelle Fotos anfertigen lassen und werden bald einen 360-Grad-Rundgang haben. Wir erhoffen uns, dass diese Vermietungen das Minus der Partys auffangen können.
Und wir haben uns auch von Personal getrennt, eine Stelle mit dem Umfang eines Vollzeitäquivalents wurde gekürzt.
Frieda: Wir werden den defizitären Bereich mit den Konzerten ausgliedern. Wir stellen dann nur noch ein kleines Budget zur Verfügung, alles Weitere liegt in den Händen der ehrenamtlich für den Konzertbetrieb Zuständigen.
Der Jugendbereich wird dann freier arbeiten können. Wir sind hier weiterhin auf Förderungen angewiesen, aber wir haben neuerdings mit der Musik- und Kunstschule, der Uni Bielefeld und dem Musikbereich der Uni Osnabrück ziemlich starke Partner im Boot – eine wirklich gute Entwicklung. Die Stadt Bielefeld befindet sich schon in der Haushaltssperre. Aber durch den aktuellen Druck sind Institutionen zusammengekommen, die schon vor 20 Jahren hätten zusammenkommen müssen.
Außerdem wird es eine dritte Säule geben: Wir werden eine Akademie einrichten, in der junge Jazz-Musiker*innen, die sich professionalisieren wollen, sich zusammen mit Profis aufs Studium und auf ihre Karriere vorbereiten können. Das ist ein kommerzieller Bereich, in dem man bspw. Workshops mit Profi-Musiker*innen buchen kann. Dieses Feld deckt die Musik- und Kunstschule nicht ab, dort findet diese Art von Angebot nur in der klassischen Musik statt.
Wir haben darüber hinaus Vermietungen, auch diese Einnahmen sind relevant für uns.
Was auffällt, ist, dass ihr auf eurem Weg sehr analytisch herausgearbeitet habt, an welche bestehenden Potenziale ihr anknüpfen könnt, um sie auszubauen.
Frieda: Wir haben gezielt nach neuen Standbeinen gesucht, die aus der schwächelnden Kulturförderung herausführen. Wir müssen unser Spektrum erweitern. Dasselbe passiert ja auch gerade in der Wirtschaft. Viele Betriebe denken darüber nach, was sie noch an Produkten oder Dienstleistungen anbieten können, weil ihr Kerngeschäft nicht gut läuft. Im Kulturbereich sind wir oftmals zu brav und versuchen, nicht aufzufallen oder etwas Neues auszuprobieren, aber genau das brauchen wir jetzt.
Katharina: Als der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung veröffentlicht wurde, habe ich diese 140 Seiten gelesen, und mich ärgert, dass Kultur als selbstverständlich dargestellt wird. Wir machen so eine wichtige Arbeit, auch für das Demokratieverständnis in der Gesellschaft. Das wird eher wichtiger als unwichtiger in den kommenden Jahren. Wir müssen da lauter werden!
Ich würde gerne deutschlandweit eine Aktion starten, denn jeder 20. Job in Deutschland hängt an der Kulturbranche. Das heißt, wir haben mehr Beschäftigte als die Automobilindustrie! Aber wir sind viel leiser. Wir haben keine starke Lobby, und das würde ich gern verändern. Ich möchte mit Museen, mit Orchestern, mit der breiten Kulturszene laut sein und sagen: Wenn es uns nicht mehr gibt, hat dieses Land ein Problem, weil jeder 20. Job wegfällt. Dann hat aber auch die Gesellschaft ein Problem – und unser Sozialstaat.
Frieda: Da bin ich absolut dabei! Ich würde die zwei Stunden, die ich am Tag noch habe, dafür opfern (lacht). Aber im Ernst: Alles, was jetzt weggekürzt wird, kommt nicht wieder. Dann sind wir für immer weg. Nur die Hochkultur im Blick zu haben, ist zu kurz gedacht, weil da das Publikum wahnsinnig überaltert ist. Es geht darum, niedrigschwellig zu sein, das hilft auch der Demokratie.
Ich danke euch sehr für dieses offene Gespräch!